Termine 2021: Schopenhauers Träume

    Im Jahr 2021 sind Schopenhauers Träume – wie angekündigt – Thema unseres Jour Fixe. Es ist bemerkenswert, wie intensiv Schopenhauer sich immer wieder mit Themen befaßt, die den Horizont der traditionellen Philosophie übersteigen, ja in Frage stellen.

    Am Ende des letzten Jour Fixe hatten wir gesehen, daß er die Mystik alle Zeiten und Völker sehr ernst nimmt, ohne allerdings zum Mystiker werden zu wollen. Die Beschäftigung mit Träumen führt ihn erneut in ein unruhiges Fahrwasser, das im 18. Jahrhundert außerordentlich populär war, vergleichbar dem Esoterik-Boom der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Kant, das große Vorbild Schopenhauers, hatte in seinem Artikel über die Träume eines Geistersehers (1766) mit den Spekulationen und angeblichen Erfahrungsberichten Swedenborgs brilliant und überzeugend abgerechnet, ohne aber damit dieses Thema in seiner Bedeutung in Frage zu stellen. Der Essay ist außerordentlich lesenswert und zeigt Kant als weltmännischen, sprachgewandten Schriftsteller. Schillers erfolgreichste Publikation war der Romanentwurf Der Geisterseher, der 1789 erschien und in dem auch der berühmte Zauberer und Wundermann Cagliostro, dessen Familie Goethe 1787 in Palermo besuchte, eine Gastrolle spielte. Auf der einen Seite geht es in Schillers Roman um eine Geisterbeschwörung, auf der anderen Seite um deren restlose Erklärung im Geiste des Rationalismus.

    Wir wollen mit Schopenhauers berühmtem Satz beginnen, der lautet: „Das Leben und die Träume sind Blätter eines und des nämlichen Buches.“ Was mutet er mit dieser These seinen Zeitgenossen zu? Inwiefern sind dieses Sätze ein Präludium zur Entdeckung des Unbewußten durch Eduard von Hartmann und für die Traumdeutung Sigmund Freuds (1900)? Sie erinnern sich sicherlich daran, daß wir uns bereits gelegentlich mit dem Thema des Erwachens beschäftigt haben. Im § 58 der Dissertation spricht Schopenhauer davon, ein Werk zu verfassen, das sich zur Dissertation verhielte „wie Wachen zum Traum“, und das Motto des ersten Buches der Welt als Wille und Vorstellung, der Satz aus Rousseaus Roman La Nouvelle Heloise, fordert den Leser umstandslos zum Erwachen auf.

    Schopenhauer hat sich zeit seines Lebens für merkwürdige Bücher erwärmen können, wie z.B. für die Aufzeichnungen der Seherin von Prevorst, die unter dem Titel „Originalien und Lesefrüchte für Freunde des inneren Lebens“ Justinus Kerner zusammengestellt hat. Er ging zum nicht geringen Entsetzen seiner wenig geschätzten Kollegen sogar soweit, die Magie als „praktische Metaphysik“ zu bezeichnen, was auch der Schopenhauer-Forschung über Jahrzehnte hinweg wie ein Wackerstein im Magen lag. Mit Schrecken erinnert man sich an die Edition der „Parapsychologischen Schriften“ Schopenhauers durch Hans Bender im Jahr 1961. (Dieser nur noch antiquarisch erhältliche Band ist als Textgrundlage für den Jour Fixe im übrigen sehr hilfreich.) Es war aber Schopenhauers feste und unumstößliche Überzeugung, daß es einem Philosophen nicht ansteht, die Nachtseite des Lebens – von den Träumen über die Sexualität bis hin zur Grausamkeit als Triebfeder des Handelns – zu verleugnen.

    • 28.01.2021: Schopenhauers Träume
    • 25.02.2021: Phantasmen und Bedeutung
    • 25.03.2021: Schopenhauer und Freud
    • 29.04.2021: Träume von Lotterien und Tinte
    • 27.05.2021: Egoismus und Wahn
    • 24.06.2021: Traumorgan und Gangliensystem
    • 29.07.2021: Ein Geisterseher in Frankfurt a.M.
    • 26.08.2021: Schein und Täuschung
    • 30.09.2021: Virtuelle Verlockungen
    • 28.10.2021: Letzte Träume
    • 25.11.2021: Lebenstraum und Lebenslüge
    • 16.12.2021: Vom Traumschlaf des Kapitalismus