Die Frankfurter Ortsgruppe der Schopenhauer-Gesellschaft veranstaltet jeden Monat eine gemeinsame Lektüre und Diskussion einiger Texte Schopenhauers zu einem bestimmten Thema. Jedes Jahr gibt es ein neues Programm. Geleitet werden diese Veranstaltungen von Dr. Thomas Regehly. Wir treffen uns im IIMORI (1. OG) (Braubachstraße 24, Frankfurt am Main). Teilnehmen kann man außerdem online via Zoom. Der Jour Fixe findet immer um 18 Uhr statt und dauert etwa bis 19:30 Uhr. Es handelt sich um einen offenen Kreis. lnteressierte sind herzlich willkommen! Kontakt
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Schopenhauers Lehre ist eine Metaphysik der Natur, die – so der Anspruch – durch die „empirischen Wissenschaften“ bestätigt werden kann. Dies unterscheide seine Philosophie von den Entwürfen seiner Zeitgenossen. Thema im Jahr 2023 sollen die Natur und die Wissenschaften sein, die sich nicht nur auf die äußere, sondern auch auf die innere Natur beziehen. Ausgangspunkt ist seine im 2. Band von Die Welt als Wille und Vorstellung (Kap. 12) skizzierte Wissenschaftslehre, die auf der Dissertation gegründet ist. In den vier Quartalen stehen deshalb die Themen Natur, Logik, Zahlen und Formen sowie das Handeln im Vordergrund. Als Leitfaden und Inspirationsquelle dient uns die Schrift von 1836 Über den Willen in der Natur.
Die Träume Schopenhauers haben uns im letzten Jahr beschäftigt. Aber wohin führt das Erwachen? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Einen Hinweis gibt das Stichwort „Erlösungsoptimismus“ (Urs App). Wie sich Alltagsrealismus und Erlösungswunsch aneinander abarbeiten, zeigte bereits die Dissertation, in der Künstler und Heiliger eine kurze Gastrolle spielen. Dem Jammertal der Welt ist mit technischen Utopien und Mitteln nicht beizukommen, eher ist das Gegenteil der Fall. Wer dem Leiden auf den Grund gehen will, kommt am Begriff des Lebens nicht vorbei, der bei Schopenhauer naturwissenschaftlich, philosophisch und mystisch konnotiert ist. Das Glücksversprechen der Kunst im 3. Buch ist das des Lebens selbst, kein bloßer „schöner“ Schein. Kunst ist Lebensmittel, nicht zuletzt, weil sie ein Erkenntnismittel ist. Dem 4. Buch zufolge gründet sich die einzig verantwortbare Version des Optimismus auf die Möglichkeit einer freiwilligen Verneinung des (eigenen) Lebens, in welcher der „Dualismus“ nicht durchbrochen wird – denn es gibt ihn nicht –, sondern in seiner Abstraktheit deutlich wird. Dahinter steht die Notwendigkeit einer Erlösung, wie sie uns aus den beiden Grundfragen des jungen Schopenhauer entgegenspringt, die da lauten: „Was soll das Ganze?“ und 2. „Wie komme ich aus diesem Elend wieder heraus?“
Schopenhauers vierfache Lehre weist eine erstaunliche Parallele zu den vier edlen Wahrheiten des Buddhismus auf. Welche östlichen Texte spielen in den vier Büchern eine Rolle, und wie beantwortet das Hauptwerk auf den verschiedenen Stufen die vier buddhistischen Grundfragen? Die Erkenntnislehre des 1. Buches geht in Richtung einer Erkenntnis des Leidens (Dukha), das 2. Buch präsentiert den Willen als den Schlüssel zur Einsicht in das Wesen der Welt, der den Grund des Leidens benennt (Samudaya). Ob der Weg der Kunst in der Lage ist, das „Weltübel“ vergessen zu lassen, untersucht das 3. Buch (Nirodha), während das 4. Buch ein Äquivalent für den achtfachen Pfad zumindest andeutet, der den Buddhisten durch den „Stromeintritt“ dazu dient, aus dem Elend der Welt zu erwachen (Marga). – Wir üblich stehen zunächst Texte Schopenhauers im Vordergrund, die mit buddhistischen Texten konfrontiert werden, während in der 3. Sitzung des Quartals aktuelle Themen behandelt werden.
Im Jahr 2021 sind Schopenhauers Träume – wie angekündigt – Thema unseres Jour Fixe. Es ist bemerkenswert, wie intensiv Schopenhauer sich immer wieder mit Themen befaßt, die den Horizont der traditionellen Philosophie übersteigen, ja in Frage stellen.
Am Ende des letzten Jour Fixe hatten wir gesehen, daß er die Mystik alle Zeiten und Völker sehr ernst nimmt, ohne allerdings zum Mystiker werden zu wollen. Die Beschäftigung mit Träumen führt ihn erneut in ein unruhiges Fahrwasser, das im 18. Jahrhundert außerordentlich populär war, vergleichbar dem Esoterik-Boom der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Kant, das große Vorbild Schopenhauers, hatte in seinem Artikel über die Träume eines Geistersehers (1766) mit den Spekulationen und angeblichen Erfahrungsberichten Swedenborgs brilliant und überzeugend abgerechnet, ohne aber damit dieses Thema in seiner Bedeutung in Frage zu stellen. Der Essay ist außerordentlich lesenswert und zeigt Kant als weltmännischen, sprachgewandten Schriftsteller. Schillers erfolgreichste Publikation war der Romanentwurf Der Geisterseher, der 1789 erschien und in dem auch der berühmte Zauberer und Wundermann Cagliostro, dessen Familie Goethe 1787 in Palermo besuchte, eine Gastrolle spielte. Auf der einen Seite geht es in Schillers Roman um eine Geisterbeschwörung, auf der anderen Seite um deren restlose Erklärung im Geiste des Rationalismus.
Wir wollen mit Schopenhauers berühmtem Satz beginnen, der lautet: „Das Leben und die Träume sind Blätter eines und des nämlichen Buches.“ Was mutet er mit dieser These seinen Zeitgenossen zu? Inwiefern sind dieses Sätze ein Präludium zur Entdeckung des Unbewußten durch Eduard von Hartmann und für die Traumdeutung Sigmund Freuds (1900)? Sie erinnern sich sicherlich daran, daß wir uns bereits gelegentlich mit dem Thema des Erwachens beschäftigt haben. Im § 58 der Dissertation spricht Schopenhauer davon, ein Werk zu verfassen, das sich zur Dissertation verhielte „wie Wachen zum Traum“, und das Motto des ersten Buches der Welt als Wille und Vorstellung, der Satz aus Rousseaus Roman La Nouvelle Heloise, fordert den Leser umstandslos zum Erwachen auf.
Schopenhauer hat sich zeit seines Lebens für merkwürdige Bücher erwärmen können, wie z.B. für die Aufzeichnungen der Seherin von Prevorst, die unter dem Titel „Originalien und Lesefrüchte für Freunde des inneren Lebens“ Justinus Kerner zusammengestellt hat. Er ging zum nicht geringen Entsetzen seiner wenig geschätzten Kollegen sogar soweit, die Magie als „praktische Metaphysik“ zu bezeichnen, was auch der Schopenhauer-Forschung über Jahrzehnte hinweg wie ein Wackerstein im Magen lag. Mit Schrecken erinnert man sich an die Edition der „Parapsychologischen Schriften“ Schopenhauers durch Hans Bender im Jahr 1961. (Dieser nur noch antiquarisch erhältliche Band ist als Textgrundlage für den Jour Fixe im übrigen sehr hilfreich.) Es war aber Schopenhauers feste und unumstößliche Überzeugung, daß es einem Philosophen nicht ansteht, die Nachtseite des Lebens – von den Träumen über die Sexualität bis hin zur Grausamkeit als Triebfeder des Handelns – zu verleugnen.
Die Vorlesungen, die Schopenhauer 1820 in Berlin hielt, fristen in der Forschung immer noch ein Schattendasein, obwohl sie quantitativ wie qualitativ wesentlich ausführlicher sind als das Hauptwerk von 1819. Der junge Schopenhauer kommt dort in eindrucksvoller Weise zum Wort. Sie dokumentieren ferner die beständige, konzentrierte »Arbeit am Text seiner Lehre«, und zeigen, wie der eine Grundgedanke nicht nur objektiv dargestellt, sondern stets auch subjektiv vermittelt werden muß, um zur „Selbsterkenntnis des Willens“ auf allen Ebenen zu führen. Das 1. Quartal ist der „großen Logik“ gewidmet, das 2. dem Phänomen des Willens, im 3. Quartal geht es um das Schöne und das Erhabene, während im 4. Quartal die Metaphysik der Sitten und der „Ernst des Lebens“ behandelt werden. Die Veränderungen gegenüber dem Drucktext stehen dabei im Vordergrund.
Wir beginnen in jedem Quartal mit der gemeinsame Lektüre exemplarischer Texte der Vorlesungen, die Verbindung zu aktuellen Themen bildet den zweiten Schritt und der Versuch, den philosophischen Horizont in den Blick zu bekommen, den dritten.
lm Jahr 2019 befassen wir uns mit der 1. Auflage des Hauptwerks – der junge Schopenhauer ist unser Thema. lm 1. Quartal geht es um die Vorstellung, das Theater, Phantasmen und das Virtuelle, im 2. Quartal um den Willen und die Grausamkeit. Kunst und Bildung führen im 3. Quartal auf den Pfad der Selbsterkenntnis des „dumpfen Drangs“, während Mitleid und Mitgefühl im 4. Quartal einen Vorgeschmack auf das wahre Leben geben können.
Die gemeinsame Lektüre von exemplarischen Texten steht jeweils am Anfang der Quartale, die Verbindung zu aktuellen Themen bildet den zweiten Schritt und der Versuch, den philosophischen Horizont in den Blickzu bekommen, den dritten.
Schopenhauer reiste im Jahr 1822 zum zweiten Mal nach ltalien, um dem ungeliebten Berlin zu entfliehen. Seine Reisenotizen vertraute er der „Brieftasche“ an, einem der insgesamt 10 „Gedankenbücher“, die als Werkstattberichte des Philosophen gelten können, von denen die letzten 5 unlängst von Ernst Ziegler (St. Gallen) neu ediert worden sind. Die Notizen „zeigen uns die ganze Frische und Ursprünglichkeit seines Geistes“ und einen Autor, der „das Gegenteil eines Stuben- und Begriffsphilosophen in der prachtvollen Kraft seines Denkens“ ist, weil er immer „vom Anschaulichen und Lebendigen ausgeht“ – so heißt es in einer Besprechung der Faksimile-Ausgabe von 1923. ln ltalien sei die Natur und das Leben so, wie es „eigentlich sein sollte, bei uns nur so, wie es zur Not sein kann“, schrieb Schopenhauer an einen Freund. Der Jour-Fixe das Jahres 2018 befaßt sich mit den Texten zum Thema Reisen, Kunst, Glück und Moral sowie den unveröffentlichten Aufzeichnungen, die mitunter erstaunlichen Aufschluß über seinen Reiseweg, die Ausgaben und neu geschlossene Freundschaften geben.
Italien war und ist das Sehnsuchtsland der Deutschen. Goethe floh 1786 vor den Dienstpflichten in Weimar in das „Land, wo die Zitronen blühen“, und kam geschlagene zwei Jahre später wie neugeboren zurück. Schopenhauer kannte Europa bereits recht gut, da er mit seinen Eltern 1803/04 anderthalb Jahre lang durch England, Frankreich, Österreich und andere Ländern gereist war, aber Italien fehlte ihm noch. Nach Abschluß des Hauptwerks und Durchsicht der Druckfahnen machte er sich deshalb umgehend auf den Weg. Was suchte er in Italien? Und was fand er dort?
Das 1. Quartal ist den Materialien – alten und neuen – gewidmet. Seine Reisenotizen trug er in das „Reisebuch“ ein. Es beginnt mit einer kleinen und interessanten „Philosophie des Reisens“. Ansonsten gibt es wenig Zeugnisse, aber Angaben in seinem „Lebenslauf“ von 1819 und Briefe der Schwester geben Aufschluß über Einzelheiten. Das Itinerar – Übersicht über die Reiseorte – dient dabei als ein erster Leitfaden. Im nicht vollständig edierten handschriftlichen Nachlass finden sich weitere Spuren.
Im 2. Quartal geht es um bestimmte Orte. Hier ist besonders Venedig zu nennen, wo Schopenhauer glückliche Tage mit seiner Geliebten Teresa Fuga verlebte (vgl. http://poschenrieder.de/die-welt-ist-im-kopf/). Den Aufenthalt in Florenz können wir uns durch einen jüngst publizierten Reiseführer der ebenfalls reiselustigen Schwester verdeutlichen. In Rom verkehrte er im Cafè Greco und fing, seines Nachruhms sicher, wieder zu dichten an. In Paestum endlich berührte er den „heiligen Boden“, den schon Platon betreten hatte.
Nach dem Mißerfolg als Dozent an der Berliner Universität machte er sich 1822 zum zweiten Mal auf den Weg in den Süden. Im 3. Quartal wollen wir einen Blick auf die Ergebnisse beider Reisen werfen. Welche – besonders ästhetischen – Erfahrungen hat Schopenhauer in sein Werk aufgenommen, wovon wurde er inspiriert? Zum Werk gehören selbstverständlich auch die Vorlesungen, die in den Editionen von Franz Mockrauer und Volker Spierling vorliegen, sowie die unlängst von Ernst Ziegler erstmals vollständig edierten Gedankenbücher (Cogitata, Pandectae, Spicilegia, 2 Senilia; das Cholerabuch ist in Arbeit). Hier geht es um ganz verschiedene Künste, wie Architektur, Malerei und Skulptur, immer aber um einen genauen Blick auf seine „Metaphysik des Schönen“ – mit Bildern, um der Anschauung zu ihrem Recht zu verhelfen.
Das 4. Quartal ist der italienischen Ernte gewidmet, in allgemeinerer Hinsicht. Die großen italienischen Namen, die für Schopenhauer Zeit seines Lebens bedeutsam blieben, sind Giacomo Leopardi, Giordano Bruno und Gioachino Rossini, dem er persönlich im Frankfurter „Englischen Hof“ hätte begegnen können – wieder steht die romantische Kunst der Musik in der Fluchtlinie. Zurück in Weimar besuchte er umgehend den anderen, in mancher Hinsicht für ihn vorbildlichen Italien-Pilger, den von ihm außerordentlich geschätzten „Dichter der Deutschen“, in dessen Haus am Frauenplan.
Schopenhauers große Nähe zur deutschen und europäischen Romantik ist seit langem bekannt; Frankfurt wird demnächst durch das geplante Romantik-Museum einen gewichtigen neuen Schwerpunkt erhalten. Der Jour Fixe des Jahres 2016 wird diesem komplexen Verhältnis etwas genauer nachgehen. Im 1. Quartal steht die romantische Naturphilosophie im Vordergrund, im 2. Quartal ist Schopenhauers Lektüre romantischer Literatur das Thema, das 3. Quartal steht unter dem Leitbegriff „Indien“, dessen Erforschung durch die Brüder Schlegel wesentliche Impulse erhielt, und im 4. Quartal geht es um die romantische Musik-Begeisterung, die Schopenhauer im 3. Buch seines Hauptwerks „Die Welt als Wille und Vorstellung“ (1819) nicht nur teilt, sondern noch stärker akzentuiert: „...The rest is music!“